Die Umsatz-Falle

Die Umsatz-Falle

Umsatz-/Profitdruck kann etwas Gutes sein, weil er potenziell hilft, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, schnell die Phase des Product/Market-Fit zu durchlaufen und zu einem wirklich skalierenden Geschäftsmodell zu kommen. In großen Unternehmen aber verkehrt sich dieser Druck oft in das Gegenteil und verfestigt sich zu einem dauerhaften Problem, das am Ende sogar ganze Geschäftsmodelle gefährden kann.

Auf dem Weg von der Vision zum skalierenden Geschäftsmodell entwickelt sich der Umsatz idealtypisch wie in der folgenden Abbildung dargestellt. Nach einem schwierigen Anfang hebt das Modell langsam ab, hat dann eine Phase zunehmenden Wachstums, bevor der Umsatz sich dann auf einem gewissen Niveau langsam einpendelt.

Umsatz Zeit

Die Probleme fangen in der Phase mit sinkendem Umsatzwachstum an. Denn haben Online-Unternehmen nicht naturgemäß nur stetig steigende Wachstumsraten? Das ist die Phase, in der der Innovationstrichter kontinuierlich brennen muss. Aber in der Regel passiert etwas ganz anderes: Wenn der Zeitdruck zu groß wird, übernimmt die Finanzplanung die Unternehmensplanung und treibt alle anderen Abteilungen vor sich her.

Für das Produktmanagement bedeutet dies, dass der eigentliche Kundennutzen und der Kern des Geschäftsmodells sehr schnell in den Hintergrund treten. Feature für Feature wird an das Produkt gebastelt und zwar die trivialen zuerst, die besonders schnellen Umsatz versprechen. Leider sind das auch oft die dreckigen Deals, die eigentlich keiner machen möchte, da sie das Produkt verkomplizieren und verwässern.

Das wirkliche Problem ist aber, dass die Taktik zunächst auch aufgeht. Jedes neue Feature macht auch irgendwie ein wenig zusätzlichen Umsatz. Das Ergebnis ist Featuritis: Features und Komplexität wachsen exponentiell, der Umsatz aber nur moderat.

extra Umsatz zeit

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Irgendwann gibt es dann kein Zurück mehr: Die zusätzlichen Umsatzbeiträge des gesammelten Kleinkrams sind so groß, dass sie einen signifikanten Teil der Finanzplanung ausmachen. Die Features sind nicht mehr rückbaubar. Obwohl das eigentlich passieren müsste, denn vor lauter Kleinkram verschwimmt die klare Ausrichtung und der Vertrieb ist schon länger überfordert, das alles noch zu verkaufen.

Nun gehen die Erwartungen hoch an das „nächste große Ding“, das so viel Umsatz bringt, dass die Sünden der Vergangenheit mit einem Schlag beseitigt werden können. Nur kommt das Ding leider nicht – sonst hätte man es ja schließlich schon längst gebaut, anstatt Feature an Feature zu dengeln. Je mehr Zeit vergeht, desto höher werden die Erwartungen – ein Teufelskreis, an dem zunächst das Vertrauensverhältnis zwischen Management und Team und dann zwischen Shareholdern und Management zerbricht.

Jedes Geschäftsmodell kommt irgendwann in ein Gleichgewicht, bei dem der Kundenwert einem bestimmten Umsatz- & Profit-Wert entgegensteht. Das Gleichgewicht bleibt natürlich über die Zeit nicht konstant, sondern wird von externen wie internen Faktoren beeinflusst. Die Kunst ist, die Grenze möglichst gut auszunutzen, ohne das Modell kaputt zu machen. Ist die Grenze erreicht, dann muss ein neues Modell her bzw. das alte Modell muss bewusst gedreht werden.

Wer Umsatzziele anstatt Kundenwert in den Vordergrund stellt, läuft schneller Gefahr, dauerhaft der Featuritis zu erliegen und schließlich das gesamte System aus dem Gleichgewicht zu bringen. Was aber nicht heißen soll, dass die finanziellen Ziele zu kurz gesteckt werden sollen, oftmals jammern Produktmanager viel zu sehr über die „bösen Finanzer“. Die immer noch gesunde Umsatz/Profit-Grenze liegt im Zweifel deutlich weiter als man selber glaubt. Man muss sich nur bewusst herantasten und sich konsequenter um Wachstumsbereiche kümmern, die nahe am ursprünglichen Modell selber liegen.

 

Foto von Pascal auf flickr unter CC Lizenz