Erstaunlich viele UXler, die wir treffen, sind nicht damit zufrieden, wie UX in ihrem Unternehmen funktioniert. Umgekehrt sind auch erstaunlich viele Unternehmen damit unzufrieden, wie UX bei ihnen funktioniert. Eine der ersten Fragen, die wir dabei in aller Regel bekommen, ist, wie denn die besten organisatorischen Strukturen und Prozesse aussehen, um UX erfolgreich in ein Unternehmen einzubinden.
Jedes Unternehmen braucht eine Organisation und Prozesse – natürlich auch für die Zusammenarbeit für UX mit anderen Abteilungen. Organisationen und Prozesse legen fest, wer für was zuständig ist, wer an wen berichtet und wer im Zweifel das letzte Wort bei Entscheidungen hat. Aber diese Strukturen alleine können niemals dafür sorgen, dass UX in einem Unternehmen gut funktioniert.
„Nicht die Individuen müssen koordiniert werden, sondern das, was sie tun. Es kommt nicht darauf an, dass die Leute aufeinander einwirken, sondern darauf, dass ihre Verhaltensweisen ineinandergreifen. Zwischen diesen beiden Techniken liegen Welten (…). [Dirk Baecker, Postheroisches Management, 1994, S.26]
Die Frage nach optimalen Organigrammen und Prozessen bei Problemen mit UX ist deshalb die falsche. Wer die Lösungen in erster Linie in Organisationsformen sucht, hat definitiv größere Schwierigkeiten mit UX (und wahrscheinlich auch vielen anderen Bereichen) als ihm bewusst ist.
Ein häufiger Grund für das „fehlende Ineinandergreifen der Verhaltensweisen“ zwischen UX und den anderen Abteilungen liegt darin, dass UX einfach in eine Organisation hineingetragen wird, ohne dass man sich vorab Gedanken macht, was man von UX eigentlich erwartet. UX trifft häufig auf ein intern-fokussiertes und rein quantitativ getriebenes (Produkt-)Management, das mit nutzerzentrierten, womöglich gar qualitativen, Methoden überhaupt gar nichts anfangen kann – mit negativen Konsequenzen für beide Seiten.
Eine deutlich unbequemere Wahrheit für viele UXler ist aber, dass auch sie eine zentrale Rolle dabei spielen, wenn UX in Unternehmen nicht funktioniert. Immer noch sehen sich viel zu viele UXler als Gralshüter einmal erstellter Personas und haben keinerlei Interesse, tiefer in Strategie und das Unternehmen als Ganzes einzutauchen. Auf einem gegebenen Set an Standard-Insights werden speziell in frühen Phasen der Innovation die anstehenden Aufgaben relativ automatisch und ohne tieferen Bezug zum Geschäftsmodell und den dahinterliegenden kritischen Hypothesen viel zu schnell in Wireframes übersetzt und im Rahmen von Labortests lokal optimiert. Diese Methoden decken aber nur einen kleinen Teil der Produktaufgaben in einem Unternehmen ab (siehe hierzu auch den überproduct Blog-Post „Wie viele Interviews bis zur Validität“).
Gute UXler dagegen verfügen über ein sehr breites Methodenset, das über die verschiedenen Stufen des Produktlebenszyklus die richtigen Impulse und Lösungen liefert, und sind in der Lage, die gesamte Organisation damit weiter zu bringen. Sie denken und handeln wie ein Produktmanager, haben dabei aber die spezielle Begabung, selbst komplexe Geschäftsmodelle konzeptuell und graphisch so zu gestalten, zu katalysieren und im Ergebnis so anfassbar und erlebbar zu machen, dass die Nutzer intuitiv den Wert des Produkts erkennen und für sich erschließen können.
Der Super-Gau tritt nun ein, wenn zu eng denkende UXler und ein intern-fokussiertes Management aufeinander treffen. UX wird dann sehr schnell zum fünften Rad am Wagen, fühlt sich missverstanden und zieht sich mitunter beleidigt in eine Ecke zurück. In einer extremeren Ausbaustufe sieht sich der UXler dann schließlich als Kundenanwalt, der die Nutzerinteressen gegen das „böse Business“ innerhalb der Firma vertreten muss. Spätestens in dieser Rolle als Kundenanwalt verkommt UX dann in einer Negativspirale immer mehr zum Selbstzweck: Alles wird mehr intuitiv als fundiert noch schöner und noch besser gemacht, ohne einen wirklichen Einfluss zu haben. Ist diese Stufe einmal erreicht, können die Gräben nur noch sehr schwer zugeschüttet werden.
Für eine funktionierende Integration von UX in Unternehmen muss über die tägliche Arbeit eine gemeinsame Philosophie entwickelt werden, eine einheitliche Vorstellungen über den Weg von der Idee zum Produkt, so dass die Spezialisten Ihr Know-how auf diesem Weg an den passenden Stellen nahtlos zu einem Ganzen zusammenfügen können. Nur so wird der Beitrag der einen von den anderen Spezialfunktionen anerkannt und als wertvoller Bestandteil der Gesamtleistung gesehen. Speziell UX hat all die Methoden und die Möglichkeiten als der Kit zwischen Abteilungen zu wirken und Silos abzubauen, leider passiert in der Praxis noch vielfach genau das Gegenteil.
Foto von Harald Groven auf flickr unter CC Lizenz