Haupttreiber hinter dem Wunsch, Innovationen zu schaffen, ist in fast allen Unternehmen der Druck, mehr Umsatz erwirtschaften zu müssen.
Das ist der Nährboden für einen Dauerbrenner im Produktmanagement: Die Diskussionen, ob Kundenzentrierung oder Business-Ziele wichtiger sind. Schnell wird diese Diskussion emotional und kann zum dauerhaften Keil zwischen Abteilungen werden (siehe z.B. „Kundenanwalt UX vs. das Böse Business“).
Hier ein Versuch, der Diskussion eine Struktur zu geben:
Ohne finanziellen „Business“-Erfolg kann kein Unternehmen überleben. Dabei ist es gleich, ob dieser Erfolg tatsächlich erwirtschaftet wird oder, wie im Fall von Twitter oder Uber, aktuell eher auf dem Papier als Zukunftsvision besteht.
Kein Unternehmen aber kann „Business“-Erfolg haben, ohne einen Nutzen für Kunden zu leisten. Es muss eine Lösung für ein wichtiges Problem/Bedürfnis von Kunden anbieten, für die die Kunden bereit sind, ausreichend Geld (oder zumindest Zeit) zu bezahlen, um das Unternehmen am Leben erhalten zu können.
Daraus ergibt sich:
- Business-Ziele sind wichtig!
- Nutzerzentrierung ist wichtiger!
- Nutzerzentrierung ohne Business-Ziele ist unmöglich!
Mit anderen Worten: Die bestmögliche Lösung eines definierten Problems/Bedürfnisses für eine bestimmte Zielgruppe muss immer das Hauptziel eines Unternehmens sein. Business-Ziele sind fest dazugehörige Nebenbedingungen, die gleichzeitig erfüllt werden müssen.
Bei angestrebtem Umsatzwachstum ändert sich im Zielsystem zunächst nur die Nebenbedingung. Das Hauptziel, die bestmögliche Lösung eines definierten Problems/Bedürfnisses für eine bestimmte Zielgruppe, bleibt natürlich bestehen. Wenn dieser Kundennutzen mit der Zeit nicht mehr ausreicht, um die gestiegenen Umsatzerwartung der angepassten Nebenbedingung zu tragen, bleiben zwei Möglichkeiten: Das Hauptziel muss um neuen Kundennutzen erweitert oder komplett geändert werden. Oder die Nebenbedingung muss wieder auf das tragbare Maß zurückgestutzt werden.
Gefährlich wird es immer dann, wenn Unternehmen nicht mehr in diesem eigentlich trivialen Zielsystem denken und handeln.
Wer Business-Ziele zum Hauptziel macht, hat die Nutzerzentrierung bestenfalls noch als Nebenbedingung im Blick. Dies ist der Startpunkt für die Featuritis und die Umsatz-Falle: Durch oft dreckige Kompromisse wird die einstmals gute Lösung für die Probleme/Bedürfnisse der definierten Zielgruppe Schritt für Schritt verwässert. Irgendwann gerät das Business-Modell so weit aus dem Gleichgewicht, dass der Wettbewerb leichtes Spiel hat.
Genauso problematisch ist es aber, die Nutzerzentrierung als einzige Wahrheit zu sehen und ohne Business-Nebenbedingung leben zu wollen. Die Folge sind in diesem Fall oft selbstverliebte Projekte, die schneller Geld verbrennen als Kundennutzen zu schaffen.
Ein klares System aus Hauptziel und Nebenbedingungen kann beide Extreme wirksam bekämpfen und helfen, leidige Diskussionen zu beenden.
Foto von Kenny Louie auf flickr unter CC Lizenz